Vom gelassenen Umgang mit Kindern – nach einem Vortrag von Peter Bergholz
Am Freitag abend war ich bei einem Vortrag von Peter Bergholz hier bei uns in Kaufbeuren. Zu solchen Vorträgen gehe ich meist mit gemischten Gefühlen, weil sehr oft erfahre ich nichts sonderlich neues dabei. Die Veranstaltung mit dem Namen “Kinder brauchen Glücksmomente. Und ihre Eltern auch” hat aber mein Interesse geweckt. Direkt in der Einleitung auf der Homepage der Volkshuchschule heißt es: “Grenzen setzen, Disziplin, Konsequenz… Vergessen Sie diese „strengen” Erziehungsthemen.” Ja gut, dacht ich mir. Das ist gut, aber das mache ich eh, ich bin ja auch eher eine Anhängerin von bindungsorientierter Begleitung (um extra jetzt das böse Erziehungs-Wort nicht zu sagen). Weiter heißt es “Setzen Sie stattdessen auf die Macht der positiven Emotionen. Auf entspannte Momente!” Das hat mich dann doch neugierig gemacht. Und am Ende sogar so überzeugt, dass ich es zu Hause unbedingt ausprobieren wollte (und auch habe). Und daran möchte ich euch teil haben lassen. Viel Spaß!
Vom Meckern in Beziehungen
Ich weiß noch, dass ich vor einiger Zeit, aber weit bevor ich Mutter wurde, einen Beitrag in einer Zeitschrift gelesen habe. Darin ging es um den Test verschiedener Erziehungsmethoden. Ein Paar Familien wurden gebeten ein paar Wochen lang eine bestimmte Methode auszuprobieren und dann darüber zu berichten, wie es gelaufen ist. Und mir ist besonders eine Mutter im Gedächtnis hängen geblieben. Diese sollte “nicht mehr meckern und schimpfen”. Ehrlich gesagt etwas, was ich sowieso sinnlos, sogar eher unpassend finde. Wir schreien doch auch nicht andere Menschen an, wenn sie etwas nicht richtig machen, oder nicht gleich verstehen. Warum dann unsere Kinder?
Aber diese Mutter, in dem Bericht, war so glücklich über diesen Umschwung in ihrer Familie, über die Ergebnisse, nur weil sie einfach nicht mehr meckerte, laut wurde, sodass ich beschloss: so eine Mutter will ich auf jeden Fall auch sein!
Und dann wurde ich Mutter und hielt mich dran. Einfach, weil ich empfand, dass es das Richtige ist. Tatsächlich habe ich oft gehört, dass ich ja eine unwahrscheinliche Geduld mit meiner Tochter habe und ihr “einiges durchgehen lasse”. Aber so ist das doch mit Kindern, oder? Man braucht halt Geduld! Ich habe erklärt, begleitet.
Aber sie wurde älter und schließlich wurde Rebekka geboren. Unser Papa war zunehmend dienstlich weg, mein Akku oft alle. Und ich fing an zu meckern. Ich konnte es richtig beobachten, sobald ich gestresst oder müde war meckerte ich, wo ich vorher erklärt und begleitet hatte. Und es hat mich traurig gemacht. Aber was soll man machen, wenn der Akku alle ist? Wenn das Kind einem einfach nicht zuhören möchte?
Kinder brauchen Glücksmomente
Und da war dann also dieser Vortrag von Peter Bergholz, einem Psychologen, der sich schon seit langem mit Verhalten, Körperarbeit und Familien beschäftigt.
Einer der ersten Sätze war “Wenn ich weiß, dass ich wenig positiven Einfluss nehmen kann, dann kann ich es mir ja auch leicht machen.” Das klingt im ersten Moment hier vielleicht verwirrend. Gemeint ist, dass man als Eltern sein Bestes geben kann, sich Regeln ausdenken und alle möglichen Grenzen einhalten kann. Ob das Kind dann “so wird”, wie man es sich vorstellt, ist jedoch fraglich.
Kinder sind kleine Persönlichkeiten, niemand kommt als völlig unbeschriebenes Blatt auf die Welt. Und so verfolgen Kinder auch ihren eigenen Weg, auch wenn der natürlich von der eigenen Familie und dem engeren Umfeld abhängt. Vor allem die Beziehungen zu den wichtigsten Personen im Leben eines Kinder können entschieden Einfluss nehmen, aber halt nicht alles umkrempeln. Wir können nun unser Bestes geben, aber ob am Ende das rauskommt, was wir uns vorstellen und wünschen, wissen wir nicht. Also ist es schwer “positiv” Einfluss zu nehmen. Denn am Ende machen und empfinden die Kinder halt wie sie wollen.
Ein anderer Faktor, denn wir als Eltern gerne mal vergessen, verdrängen, oder gar nicht wissen: Kinder lernen nicht von Predigten, sondern durch Modellernen. Ich hatte euch dazu auch schonmal was geschrieben, aber kurz lässt sich einfach sagen: solange man sagt “Seid immer nett zu anderen Menschen” und einen Moment später grußlos an der Klassenlehrerin vorbeistapft, hat das “seid immer schön nett” wohl weniger Einfluss, als unser Verhalten.
Kinder schauen zu uns auf, sie sehen uns zu, beobachten uns. Zum einen, weil sie uns lieben. Wir sind ihre Eltern und sie verehren uns, fast egal wie wir uns verhalten (zum mindestens in den ersten Jahren). Zum anderen müssen sie sich in unserer Welt, mit unseren Regeln erst zurechtfinden. Sie schauen, wie wir Probleme lösen, Menschen gegenübertreten und unseren Weg gehen, um alles einfach besser zu verstehen und sich ihren eigenen Weg zu ebnen.
Diese kleinen Menschen, die da nun also bei uns leben, sind kleine eigenständige Persönlichkeiten, die sich ihren Weg suchen. Und dann kommen wir daher und sagen ihnen, wie wir alles sehen und was sie wie machen sollen. Das macht aber biopsychologisch betrachtet wenig Sinn. Denn das Denken (und Verarbeitung von dem, was wir zu unseren Kindern und anderen Menschen sagen), findet in einem Hirnbereich statt, das Erleben und Handeln wird aber stark von Emotionen und gespeicherten Erfahrungen beeinflusst, die wieder in einem anderen Areal verarbeitet werden. Wenn wir also nun etwas sagen, wird das zwar aufgenommen, aber mehr auch eigentlich nicht. Eigentlich kennt das auch jeder. In einer “bedrohlichen Situation” können wir uns noch so oft sagen, dass das gar nicht so schlimm ist, unsere Emotionen und Erfahrungen übertrumpfen das Gesagte einfach. Und wir haben trotzdem Angst.
Und was hilft das jetzt im Alltag mit Kindern?
Wir alle kennen sie, diese endlosen Diskussionen um einfach alles. Peter Bergholz sagt nun: Erziehung und Machtkämpfe bringen nichts, denn Druck erzeugt Gegendruck. Wenn wir ihnen also etwas sagen, und sie wollen nicht kooperieren, heißt: einfach nicht machen, was wir ihnen sagen, dann bringt es nichts, sie zu zwingen, zu erpressen, zu überreden. Manchmal vielleicht doch, und mit genügend Druck wahrscheinlich auch, aber es ist ja auch nicht das Ziel das Kind einzuschüchtern, zu erniedrigen, oder völlig zu unterwerfen. Und da gehe ich völlig mit, ich war noch nie Freundin der Diskussionen und Streits um nichts (oder einfach um zwei verschiedene Ansichten), und doch ist das als Mutter nicht so einfach.
Ihr alle kennt sicher auch eine Mutter, die alles ganz locker nimmt. Mit ihren vier Kindern immer lächelt und alles ganz easy händelt. Und wie ich denkt ihr euch sicher: wie macht sie das? Warum sind ihre Kinder so “brav”?? Sind sie wahrscheinlich gar nicht. Sie stößt auf die gleichen alltäglichen Probleme wie wir, sie ist einfach nur gelassener dabei.
Die meisten Konflikte sind Aufregungskonflikte
Im Vortrag war das Beispiel die hingeworfene Jacke, ich nehme jetzt auch ein klassisches Beispiel: das Abendessen. So oft höre ich bei anderen, was ich selbst tagtäglich erlebe: Das will ich nicht essen!!! Weil falsch geschnitten, die Soße hat die falsche Farbe oder berührt die Nudeln, oder die Paprika, die gestern noch geschmeckt hat ist heute ekelhaft.
Da steht man da, kocht und kocht und kocht (in dem Fall dann nicht mehr nur das Essen, sonst auch selbst schon) und hört sich an, was heute wieder alles am Essen falsch ist. Und ich für meinen Fall fange dann an zu meckern. Denn mir macht es keinen Spaß Tag für Tag einen Großteil meiner Zeit in der Küche zu stehen. Mir macht es keinen Spaß vier verschiedene Vorstellungen jeden Tag in einem neuen, leckeren, gesunden, interessanten Essen zu vereinen. Geht auch gar nicht. Aber ich bekomme die ganze Meckerei ab. Und meckere zurück. Dabei geht es aber nicht um das eine Kommentar, sondern um das Ganze. Anderes Beispiel: Das Kind soll sich für die Schule fertig machen, macht der Puppe aber erstmal seelenruhig einen Zopf. Irgendwann ist der Punkt erreicht, wo mein “beeil dich endlich!!!” lauter wird. (Darauf kommt natürlich ein “ich beeil mich doch!!!” zurück).
Und nun? Nun könnte man einmal betrachten, um was es eigentlich geht. Im Fall der Schule weiß ich, dass es feste Zeiten gibt, zu denen das Kind losmuss. Ist einfach so. Also dränge ich es. Meinem Kind ist es aber wichtig noch ihre angefangene selbstgesetzte Aufgabe zu beenden. Oder im Beispiel mit dem Essen: Ich finde es einfach zu schwer jedem ständig sein Lieblingsessen zu kochen und alle zufrieden zu stellen. Mein Kind sieht einfach, dass es nun gerade etwas zu essen gibt, was es eigentlich gerade nicht so gerne essen möchte. Also regen wir uns (beide) auf.
Das ist übrigens nicht nur auf Kinder anwendbar. Denn es gibt immer zwei Seiten und so vor allem zwei Ansichten. Jeder hat auf seine Weise recht, denn er empfindet und agiert meist aus einem bestimmten Grund. Das Kind wirft die Jacke nicht hin, um uns zu ärgern, verweigert das Essen nicht, um uns schlechte Mutterqualitäten zu unterstellen. Sie betrachten alles aus ihrer Perspektive heraus und diese einmal zu wechseln müssen sie auch erst lernen.
Es gibt 100 Sachen im Alltag, über die wir uns aufregen können. Oder wir können es einfach lassen. Soll die Tochter sich halt selbst etwas zu essen suchen. Und halt damit umgehen, wenn sie wirklich zu spät kommt. Oder sich den Wecker früher stellen. Oder vielleicht ist es auch nur meine Angst, und das Kind würde gar nicht zu spät kommen? Wir könnten einfach gelassener sein im Umgang mit unseren Kindern. Das hat den Vorteil, dass Kind unsere innere Einstellung bemerken und darauf reagieren. Sind wir angespannt, merken sie das, geht es uns nicht gut, merken sie das. Sie merken aber auch, wenn wir entspannt sind, wenn es uns gut geht und verhalten sich dann auch freier und entspannter.
Und wenn man doch mal streitet?
Nun kann man sich sonst wie sehr vornehmen alles ruhig und gelassen zu betrachten, mit Kindern ist das nächste “Ärgernis” meist nicht weit. Dazu gab es im Vortrag natürlich auch Tipps. Zum einen selbst runterkommen! Denn aufgeregt irgendetwas klären zu wollen ist recht schwer (und angesichts dem eben beschriebenen halt auch einfach nicht der richtige Weg. Denn wir schreien nicht, um etwas verständlicher auszudrücken, sondern um den angestautet Frust frei herauszulassen).
Sich selbst bewusst zu machen, dass einem gleich die Hutschnur platzt und sich selbst beruhigen, das ist ein guter Weg. Das geht mit ein paar körperlichen Tricks, aber auch Mantras, die man sich extra für solche Situationen bereithalten kann. Oder natürlich beidem zusammen. Und wenn man sich selbst beruhigt hat kann man ruhig mit dem Kind reden, oder einfach ein gutes Vorbild sein. Ist das Kind selbst aufgebracht, kann man es mit Hilfe von Bewegung probieren ebenfalls zu beruhigen, bzw. fröhlicher zu stimmen.
Wir alle kennen es eigentlich. Ist man gestresst, oder genervt, spannt sich alles an, man ist eher ruhig. Ist man dagegen glücklich bewegt man sich gerne, ist locker. Das hängt nämlich zusammen. Und so kann man es sich auch zum Nutzen machen. Ist man nun verärgert und angespannt, kann man willentlich probieren seinen Körper zu entspannen, indem man zum Beispiel seine Schultern bewegt, überhaupt in Bewegung kommt.
Nach einem Streit wird das Kind aber nicht gerade vor Begeisterung loshüpfen, wenn man sagt: los, beweg dich mal. So kann man einfach Bewegung initiieren. Zum Beispiel, indem man es mit der Schulter, oder dem Arm anstupst (das Beispiel aus dem Vortrag), oder auch einfach mit dem Finger pikst (wie kitzeln), die Arme nimmt und bewegt. Klingt vielleicht komisch, ist auf jeden Fall etwas, was man für sich ausprobieren muss, beschreiben lässt es sich schwer. Wichtig ist, dass die Starrheit sich löst.
Meine Erfahrung
Ich konnte es direkt am Wochenende schon anwenden. Wir waren auf einem Nachtflohmarkt und Hanna wollte sich unbedingt dort etwas zu essen kaufen. Da aber schon Abendbrot Zeit war und ich Angst hatte, dass sie dann zu Hause nicht mehr isst (und dann nachts Hunger bekommt und und und) haben wir nein gesagt. Diskussion. Gemecker ihrerseits. Gemecker unsererseits und die klare Entscheidung: wir gehen jetzt nach Hause. Hanna lief trotzig neben mir her, ohne etwas zu sagen. Ich habe sie mit dem Ellenbogen ein paar Mal in die Seite gestupst (wirklich ganz leicht, nicht gerempelt). Da hat sie erst komisch geguckt, dann aber ihren Mund zu einem sauren Lächeln verkniffen. Und plötzlich: “Was gibt es denn zu Hause zu essen?” Und durch war die Situation! Vielleicht Anfängerglück, vielleicht ist es aber auch so einfach.
Ob sich alle Situationen so aus der Welt schaffen lassen weiß ich nicht, aber mitgenommen aus dem Vortag habe ich mir vor allem das: Wir regen uns auf, weil uns etwas nicht gefällt. Anstatt nun aber zu explodieren ist es hilfreicher sich selbst zu beruhigen (zum Beispiel über Bewegung) und die Sache dann ruhig angehen zu lassen, denn beide haben „Recht“. Sollte Hanna oder Rebekka einmal verärgert sein, werde ich versuchen sie in die Bewegung zu bekommen, damit ich alles ruhiger mit ihnen klären kann. Denn nichts belastet das Familienleben mehr als Streits um Kleinigkeiten!
Soweit die Theorie. Ob und wie es wirklich auf Dauer funnktioniert lasse ich euch gerne wissen, falls ihr auch schon Erfahrungen zu dem Thema gemacht habt, lasst sie gerne da!
Vielleicht konnte sich der ein oder andere nun auch etwas mitnehmen. Wer mehr dazu, vor allem auch zu den Methoden von Peter Bergholz lesen möchte, kann natürlich gerne auf seiner Seite vorbeischauen.
Entspannte Grüße,
eure Jenny