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Warum wir unseren Kindern nicht sagen sollten, was sie zu tun haben

Wenn man Mutter oder Vater wird, ändert sich einiges. Man ist auf einmal für ein kleines Wesen verantwortlich, soll es nicht nur hüten und pflegen, sondern auch auf die Welt vorbereiten. Und das kann man auf so unglaublich viele Arten und Weisen tun, Erziehungsstile gibt es immerhin wie Sand am Meer. Ich hatte mir schon lange vor meiner Schwangerschaft mit Hanna überlegt, was ich meinen Kindern gerne weitergeben würde, was ich bei meinen Kindern anders machen wollte. Ich wusste, was für eine Art von Beziehung ich mit ihnen wollte. Aber ich wurde schwanger und mit einmal merkte ich, dass es vielleicht gar nicht so einfach sein würde, dieses Mamasein.

Relativ schnell fand ich mit Hanna heraus, welche Art Mutter ich war und sein wollte, schnell merkte ich, was für mich funktionierte und was sich richtig anfühlte. Ich merkte aber, dass manches so gar nicht funktionierte, wie ich es mir vorgestellt hatte!

Wie Kinder lernen

Wusstet ihr, dass es Versuche gab, in denen Kinder ohne echten sozialen Kontakt „gehalten“ wurden, um zu sehen was passiert? Das heißt, natürlich wurden sie gesäubert und gefüttert, aber es wurde nicht gesprochen und es gab keine Zuwendungen. (Unter „Waisenkinderversuche“ könnt ihr mehr dazu erfahren.) Und was ist passiert? Alle Kinder sind in kürzester Zeit gestorben. Kinder können nicht ohne ein soziales Gegenüber. Sie brauchen die (menschliche) Nähe, sie brauchen Kontakt, sie brauchen sozialen Raum, um sich entfalten zu können. Und auch, um grundlegende Dinge zu erlernen, denn längst ist bewiesen, dass die Entwicklung von Sprache, Motorik und kognitiven Eigenschaften von sozialem Kontakt abhängt.

Wenn wir unseren Kindern also ein zu Hause und Nähe geben, auf sie eingehen und mit ihnen interagieren, haben wir das Grundgerüst für ihre Entwicklung gelegt. Aber wie lernen Kinder eigentlich? Wie finden sie sich in unserer Welt zurecht?

Ich denke, einer der größten Irrtümer der Erziehung ist die Vorstellung, dass wir Kinder das, was wir ihnen zeigen und beibringen wollen, einfach nur oft genug sagen müssen. Als ich schwanger wurde wusste ich sofort: mein Kind wird meine Fehler nicht machen, mein Kind wird nicht meine Schwächen haben. Ich habe mir vorgestellt, wie ich ihr das mitgebe, was mir fehlte. Ich habe mir vorgestellt, wie ich mit ihr darüber redete, sie aufklärte, ihr sagte, wie sie es anders machen könne. In meiner Vorstellung war das so einfach! Aber mit der Zeit habe ich natürlich gemerkt, dass das so nicht funktioniert. Irgendwie entdeckte ich immer mehr Eigenschaften von mir an Hanna und ich fragte mich, warum sie nicht das umsetzte, was ich ihr erklärte, sagte, fast predigte.

Warum ist das so? Wie Kinder lernen wurde schon zig Mal untersucht, und was herauskam zeigt ziemlich klar: Kinder können auf unterschiedliche Art und Weise lernen, aber Predigten helfen reichlich wenig. Eine Form ist Lernen durch Versuch und Irrtum. Die Kinder probieren etwas aus und entweder es funktioniert, oder es funktioniert nicht. Je nachdem merken sie sich den Ausgang ihres Versuchs und probieren es nochmal, oder lassen es bleiben und speichern diese Information ab.  Auch Lernen durch Verstärkung ist möglich. Durch Belohnungen kann man Kinder zum Beispiel motivieren, bestimmte Verhaltensweisen auszuführen. Fraglich bleibt dabei der Lerneffekt. Lernen die Kinder den Sinn der Handlung kennen, oder handeln sie, um eine Belohnung zu erhalten? (Und dieser Unterschied ist wesentlich für ihr weiteres Leben!). Am stärksten wirkt aber das Lernen am Modell, nämlich das Lernen durch Nachahmung. Dieses funktioniert automatisch und ermöglicht den Kindern sich leichter in unserer Gesellschaft zurechtzufinden.

 

Kinder lernen durch Nachahmung

Es wurde mehrfach in Studien bewiesen, dass Kinder durch Beobachtung lernen. Das heißt sie setzen das um, was sie bei anderen Menschen sehen. Dabei sind für sie vor allem ihre Bezugspersonen wichtig, heißt ihre Eltern, Betreuer und (größere) Geschwister.

In das Verhalten und auch in das Wesen unserer Kinder fließt so viel ein, was um sie herum geschieht, was sie sehen, was sie erleben. Einstellungen, Moral, (Un)Achtsamkeit, Verhalten, Sprache. Die Nachahmung der Kinder ist nicht von ihnen gesteuert, sondern geschieht intuitiv, indem sie alles um sich herum beobachten, regelrecht in sich einsaugen und nachahmen. Vom Säuglingsalter bis in die Kindergartenzeit geschieht dies durch einfache unreflektierte Nachahmung, in der Vorschul- und Schulzeit beginnen die Kinder sich mit ihren Vorbildern auseinanderzusetzen (zum Beispiel durch Rollenspiele), bis sie sich mehr und mehr davon emanzipieren und ihre eigene Persönlichkeit heraustritt. Das heißt, dass Kinder bis etwa ins 9. Lebensjahr hinein noch unbewusst nachahmen und erst danach anfangen ihre Handlungen bewusst selber zu wählen. Interessant ist, dass Nachahmung niemals wirklich zu Ende ist, dass sie immer weiter in unserem Leben präsent bleibt, obwohl wir uns offenkundig (und mit lautem Türenknallen) von ihr in der Jugend verabschieden. Oder kratzt euch nicht der Kopf, wenn ich mal schauen muss, ob ich Läuse habe? Das ihr gähnen müsst, wenn euer Nachbar anfängt, oder es euch fröstelt, wenn ihr im Winter jemanden mit kurzer Hose seht, liegt daran, dass wir nachahmen. Dass wir uns in die Gefühlswelt des Anderen hineinversetzen, ohne wirklich in seiner Lage zu sein.

Grund dafür sind Spiegelneuronen in unserem Gehirn, die nur den Menschen und Primaten zu eigen sind und uns mitfühlen lassen. Durch die Spiegelneuronen entstehen bei uns im Gehirn die gleichen Gefühle, wenn wir etwas beobachten, als wenn wir die Handlung selber ausführen würden. Wenn wir nun unseren Nachbarn beobachten, er scheinbar müde ist und gähnt, so versetzen uns die Spiegelneuronen in die gleiche Lage und wir gähnen auch.  Und deswegen fangen wir (ja gut, wahrscheinlich eher Frauen) an zu weinen, wenn wir eine besonders traurige Szene in einem Film anschauen. Oder können uns kaum zurückhalten, wenn jemandem Unrecht geschieht.

Die Spiegelneuronen sind also extrem praktisch, weil wir uns so einfach in andere Menschen hineinversetzen können. Manche Menschen sind zwar empathischer, als andere, aber die Grundausstattung besitzen wir alle. Wie sehr sich die Spiegelneuronen ausbilden und aktiv sind, hängt dann vom Umfeld ab (oder sie fallen organisch bedingt fast komplett aus, wie vermutlich bei Autisten). Durch die Spiegelneuronen ist das Miteinander einfacher, weil es durchschaubarer für uns ist.

Schon Babys können auf ihre Umwelt reagieren und sie nachahmen. Alle Eltern warten (vermutlich) sehnsüchtig auf das erste Lächeln. Wir stehen über dem Baby, schauen es freundlich an, lächeln was das Zeug hält und warten und warten, bis das Baby eines Tages zurücklächelt. Natürlich wäre es sehr viel romantischer zu glauben, dass das Baby uns einfach unglaublich lieb hat und endlich Mami und Papi erkennt, froh ist, bei uns sein zu können. Wahrscheinlicher ist aber, dass die Spiegelneuronen bei diesem ersten Lächeln ganze Arbeit geleistet haben. Mit der Zeit ahmen Babys ihre Eltern immer mehr nach, zuerst die Mimik und Gestik, aber nach einiger Zeit wird die Nachahmung immer umfangreicher, bis schließlich ganze Handlungs- und Denkmuster dazukommen. Es klingt vielleicht komisch, immerhin kann man sich vorstellen, dass praktische Sachen von den Kindern übernommen werden, Lösungsstrategien und Routinen, aber das Denken? Dabei geht es vor allem um Einstellungen und Glauben. Denn wenn wir unseren Kindern vorleben, dass alles gut wird, dass es immer Lösungen gibt, dann glauben das auch die Kinder später eher. Genauso übernehmen die Kinder aber auch negative Einstellungen zu Handlungen und Personen.

Im Grunde sind uns Kinder hilflos ausgeliefert. Sie wachsen mit uns auf und ihr Gehirn befiehlt ihnen, das zu machen, was wir machen. Sie wollen uns nicht nur nacheifern, weil wir ihre geliebten Vorbilder sind, sondern müssen dies in gewisser Weise auch, egal wie gut, schlecht, vorbildlich, oder irrational unser Verhalten ist. Dabei geht es natürlich nicht um Charaktereigenschaften, sondern generell um Verhalten. Und Kinder können auch total Unsinniges erlernen, wenn sie es nur oft genug sehen. Es gab dazu auch einige Studien, die gezeigt haben, dass Kinder starr einfach das wiederholen, was sie vorher gesehen haben, egal ob sie wussten, dass die Handlungen teils unnötig, oder sogar irrational sind (wie zum Beispiel beim Öffnen einer Kiste diese erst mit einer Feder zu berühren). Das passiert eben, weil es zum einen automatisch abläuft und zum anderen bis zu einem gewissen Alter starr vom Gehirn gesteuert wird. Diese Überimitation, die dann von den Kindern ausgeführt wird, kann nicht nur zu unsinnigen Handlungen führen, sondern verheerende Folgen für die Persönlichkeit haben. Denn selbst wenn den Kindern die Unsinnigkeit einer Handlung erklärt wird, sind sie meist nicht in der Lage diese Abzubrechen oder zu ändern, wenn sie sie einmal gezeigt bekommen haben. Was sie von uns lernen, begleitet sie also ein Leben lang. Und je öfter sie eine Handlung sehen, Emotionen in bestimmten Situationen miterleben, umso wahrscheinlicher verfestigen sich diese Strukturen. Vielleicht schaffen sie es später, unliebsame Verhaltensweisen abzulegen, aber das ist mit einem ungeheuren Aufwand verbunden und wird trotzdem ein Thema im Verlauf ihres Lebens bleiben. Nehmen wir das Beispiel Sport. Vielleicht schafft man es sich einen Trainingsplan anzueignen, Fitnessroutinen aufzubauen und aktiv zu werden, nachdem man jahrelang nichts getan hat, Sport vielleicht in der Schulzeit das Hassfach Nummer eins war. Aber das ist schwierig, kostet viel Kraft und wird (wahrscheinlich) niemals einfach selbstverständlich, sondern ist immer mit Planung und Überredung verbunden.

Aber Nachahmung hat natürlich nicht nur ihre Schattenseiten. Oben habe ich ja schon gezeigt, dass es durchaus praktisch ist, sich in andere Menschen hineinversetzen zu können. Aber Lernen durch Nachahmung verschafft den Kinder auch den Vorteil, dass sie Erklärungen manchmal gar nicht brauchen. Kinder beobachten uns lange, vielleicht sogar schon unbemerkt bei einer Tätigkeit. Beim Kochen, beim Arbeiten, beim Bauen, beim Zeichnen. Und ohne, dass wir ihnen etwas erklären, können sie es. Sie brauchen meist keine Erklärungen (oder lassen sie über sich ergehen, weil wir sie für wichtig halten) und können ihr Wissen aus ihren Beobachtungen abrufen. Es kommt wirklich oft vor, dass ich erstaunt bin, was Hanna eigentlich alles kann, obwohl ich mit ihr noch nicht darüber gesprochen habe, oder ihr erklärt habe, wie es geht. Zum Beispiel, und das kennen wahrscheinlich auch einige andere: da komme ich letztens ins Wohnzimmer, da sitzt Hanna mit meinem Handy auf der Couch und spielt Bibi und Tina. Manchmal darf sie mein Handy zum Spielen haben, deswegen habe ich ihr das Spiel ja installiert, aber wirklich nicht oft. Bis dahin habe ich ihr das Handy und das Spiel aber immer angemacht. Auf Erklärungen habe ich bewusst verzichtet, denn Elektronik ist ein Bereich, mit dem sie sich befassen kann, aber nicht übermäßig muss. Ich sehe es lieber, wenn sie spielt, am besten draußen. So ein Handy, Tablette und Co verleitet nun mal doch schnell zu sagen, dass man drinnen bleibt, eben auf der Couch hockt und spielt. Der Umgang allgemein mit Handys und Tablets ist überraschend und faszinierend, denn ich denke fast kein Elternteil hat seinen Kindern den Umgang umfassend erklärt, aber sie navigieren sich mit einer Selbstverständlichkeit durch diese Dinger, das ist erstaunlich.

Natürlich kommt zu der Theorie noch die Praxis. Nicht alle Kinder sind gleich, nicht alle reagieren gleich, oder haben das gleiche Temperament. Ob sie das Gesehene und so Gelernte auch wirklich umsetzen, zeigen, oder zurückhaltender sind, hängt davon nämlich maßgeblich ab. Ich wollte mit diesem Beitrag nur zeigen, wie Kinder am besten lernen, denn auch für uns kann das bedeutend sein. Für den Alltag heißt das zum Beispiel, dass wir, bevor wir eine Predigt halten, vielleicht lieber zeigen, was wir meinen. Mehr noch, wir können überlegen, wie wir uns eigentlich verhalten, wie wir bestimmte Handlungen ausführen, oder wann mit uns die Emotionen durchgehen! Manchmal fragen wir uns, warum auf einmal alle schlecht gelaunt sind. Da hat man einen schlechten Tag, und ausgerechnet dann muss das Kind mies drauf sein. Zufall? Absicht? Ziemlich wahrscheinlich spiegelt uns unser Kind in dieser Situation und wir sollten uns lieber fragen, was mit uns los ist, anstatt das Verhalten unserer Kinder zu hinterfragen. Auch wenn wir uns wundern, dass unsere Kinder etwas, dass wir ihnen tagtäglich sagen (mal abgesehen vom Schuhe anziehen :D) einfach nicht umsetzen, können wir berlegen, ob wir für die Lösung nicht lieber bei uns suchen sollten…

Liebe Grüße,

Jenny

 

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